Ist Gott Allmächtig?
„ja“ sagt unser apostolisches Glaubensbekenntnis gleich zu Beginn: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen“ und danach folgt „den Schöpfer des Himmels und der Erde“.
„nein“ sagt unser Gefühl und auch unsere Lebenserfahrung. Zu viel geschieht auf dieser Welt, was mit dem Bild des allmächtigen und zugleich guten und liebenden Gott kaum vereinbar ist! Unrecht, das Menschen ihren Mitmenschen antun. Leid und Elend durch Hunger, Gewalt, Naturkatastrophen und all die Unzulänglichkeit, die nicht nur in jeder Nachrichtensendung zentrales Thema ist, sondern auch in jeder privaten Biografie bei Festreden, einer Laudatio zur Verabschiedung verdienstvoller Menschen oder zum runden Geburtstag eines Familienangehörigen höflich verschwiegen wird. Eine ehrliche Begegnung mit sich selbst und eine ehrliche Sicht auf Mitmenschen muss zu dem Schluss kommen, dass Gott entweder nicht allmächtig oder aber nicht nur gut und liebend ist, sondern auch abwesend, gleichgültig oder sonst irgendwie seine Allmacht nicht dazu nutzt, um dem Guten und Heilen zur uneingeschränkten Dominanz zu verhelfen.
Und was sagt die Bibel?
Wenig! Das Wort Allmacht oder allmächtig (oder vermutlich auch eine sinngleiche andere Formulierung?) finden sich – lässt man eine Suchmaschine eine digitale Bibel durchsuchen – nur an ganz wenigen Stellen:
2Mak 1,25 der du allein alle Gaben gibst, der du allein gerecht, allmächtig und ewig bist, der du Israel erlöst aus allem Übel, der du unsere Väter erwählt und sie geheiligt hast;
Sir 19,20 Alle Weisheit besteht in der Furcht des Herrn, und zu aller Weisheit gehört das Tun des Gesetzes [und die Erkenntnis seiner Allmacht].
Jdt 13,4 Als sich nun alle entfernt hatten und niemand mehr zurückgeblieben war, vom Kleinsten bis zum Größten, da trat Judit an sein Bett heran und sprach in ihrem Herzen: Herr, du Gott aller Macht, sieh in dieser Stunde gnädig herab auf das Werk meiner Hände, zur Erhöhung Jerusalems!
Möglicherweise gibt es weitere Stellen, die in anderer Übersetzung auf das Suchwort angesprochen hätten – aber die Fülle an Fundstellen, die angesichts der zentralen Position im Glaubensbekenntnis zu erwarten wäre, gibt es nicht. Die Verbindung aus „Allmacht“ und „Gut“ hat angesichts der wenigen Fundstellen ihren Glanz verloren:
5Mo 10,17 Denn der HERR, euer Gott, ist der Gott aller Götter und der Herr über alle Herren, der große Gott, der Mächtige und der Schreckliche, der die Person nicht ansieht und kein Geschenk nimmt.
Als „der Mächtige und der Schreckliche“ wie auch der Unbestechliche (der kein Geschenk annimmt) ist Gott bei 5. Mose 10,17 beschrieben.
Zurück zum Glaubensbekenntnis: Ein weiteres Attribut wird hier Gott zugeordnet: „Der Schöpfer des Himmels und der Erde“. Hierzu finden wir in der Genesis zwei Erzählungen und in der gesamten Bibel so manchen interpretierenden Bezug. Denkt man Gott aus dieser Sicht heraus, wird die Eigenschaft „allmächtig“ überzeugend.
Diese Sicht wird ergänzt durch das Bild, das die moderne Physik und deren Welterklärung beschreibt. Wenn man diese dann gleichermaßen als Gottes Schöpfung begreift, entstehen ergriffenes Staunen und Ratlosigkeit gleichermaßen:
Materie, Zeit und Raum sind nach der Erkenntnis der Elementarteilchenphysik, die eng verknüpft ist mit der Astrophysik , so eng untereinander verbunden, dass ohne Materie (und physikalische Energie) weder Zeit noch Raum existieren. Ein vorher und nachher (Zeit) und ein hinter mir, neben mir, über mir oder unter mir (Raum) sind schlicht ohne Materie nicht existent. Das wiederum erschüttert die Basis unsers Denken, unserer Logik: „zeitlich vor dem Urknall“ ist z.B. aus physikalischer Sicht eine unsinnige Aussage, weil „vor dem Urknall“ Zeit gar nicht existiert. Ebenso unsinnig ist „außerhalb des Universums“, weil räumlich außerhalb der Wirkung von Materie (Gravitationsfelder, die sich auch nur mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, also niemals den gesamten denkbaren Raum ausfüllen können) Raum gar nicht existiert. Und diese unfassbaren Aussagen der Physiker greifen bis in die hier und heute genutzten technischen Systeme hinein: Das satellitengestützte Navigieren funktioniert nur dann in der notwendigen Genauigkeit, wenn in den Berechnungen die Tatsache berücksichtigt wird, dass gemäß der Relativitätstheorie die Zeit in den Satelliten und die Zeit auf der Erdoberfläche in unterschiedlicher Geschwindigkeit verstreichen.
Daraus leitet sich ab, dass das, was wir als Logik, für die es z.B. immer ein Vorher und Nachher, ein Unten und Oben gibt, begreifen, nur ein sehr begrenztes Werkzeug ist, wenn es darum geht, die materielle Welt zu begreifen und definitiv unzureichend ist, wenn es darum geht „darüber hinaus“ zu denken. Legen wir also unsere Logik getrost bei Seite? Auch das ist uns nicht möglich, denn unsere Logik ist eine wesentliche Grundlage unserer physischen Existenz. Ich kann keinen anderen Weg erkennen, als die Logik anzuwenden und sich gleichzeitig bewusst zu sein, dass diese Logik „zu klein“ ist, um die Wirklichkeit über das Materielle hinaus zu erkennen. „zu klein“ heißt, dass logische Widersprüche Teil physikalischer Erkenntnis sein können (und sind: für Physiker das Stichwort „Dualismus Welle-Teilchen“). Wieviel mehr sind dann logische Widersprüche auch als Teil der göttlichen Wahrheit mitzudenken. Über das Materielle hinaus denken wir definitiv, wenn wir uns über Gott, über die Entstehung der Welt und über die Ewigkeit (was auch immer das sein mag) Gedanken machen.
Wenn aber Dimensionen wie Ewigkeit als Teilaspekt der Zeitlosigkeit, Allgegenwart als Teilaspekt der Unendlichkeit und Schöpfer-Gott als Teilaspekt der Allmacht Gottes unserem logischen Denken nicht zugänglich sind, müssen wir erkennen, dass unser Zugang zu diesen Aspekten des Seins auf einer anderen Ebene liegen muss und liegt. Welche könnte diese sein?
Die Bibel erzählt eine Heils(?)-Geschichte, die aus vielen Geschichten besteht. Jesus erzählte Gleichnisse. Unsere Träume und unsere Seele sprechen in Bildern zu uns. Unsere Intuition spürt Stimmungen. Schweigen kann sehr kraftvoll sein. So viel in unserem Sein liegt jenseits gedanklicher Logik. Begeben wir uns auf Glatteis, auf sumpfiges und gefährliches Gelände, wenn wir diesem Raum geben?
Und auf dem Waschzettel des Buchs „Unberechenbar“[1] von Harald Lesch und Thomas Schwarz findet sich der Text: „Das Leben, individuell und kollektiv, ist mehr als eine Gleichung[2], es ist vielmehr ein Wechselspiel von Gesetzen und Bedingungen – und darin liegt auch immer das Potenzial für Neues. Eine kleine Veränderung bedingt eine größere Veränderung und erzeugt neue Bedingungen und Optionen, obwohl sich an den Gesetzen selbst nichts verändert hat. Unberechenbarkeit bedeutet Freiheit und nicht zuletzt auch Vielfalt.“
Vieles aber nicht alles in unserem realen Leben lässt sich logische Gedanken fassen, in Algorithmen programmieren und berechnen. In o.g. Buch „unberechenbar“ beschreiben die Autoren, wie viele wichtige Aspekte unseres Lebens und Wirtschaftens rein logischen Aspekten nicht zugänglich oder nicht vollständig zugänglich sind. Sie sind viel mehr von Intuition, Gefühlen, Einschätzungen, Glaubenssätzen (auch jenseits der Religiosität!) und psychischen Prägungen und der Wechselwirkung zwischen Du und ich bestimmt.
Ich denke, auch unsere Frage nach Gott und dessen Allmacht ist nicht primär oder vielleicht nur sehr wenig dem logischen Denken zugänglich. Und das ohne dabei „unlogisch“ zu sein. Unlogisch widerspricht der Logik. Das ist etwas anderes.
Danella Medows, die federführende Mitautorin von „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome) schreibt in ihrem post mortem erschienen Buch „Grenzen des Denkens“[3] davon ,dass die stärkste Kraft für menschliche Veränderungs-Potentiale darin liegt neue Paradigmen, Grundvorstellungen für das Leben als Individuum und als Gesellschaft zu finden. Solche Paradigmen sind keine Handlungsanweisungen auf sachlogischer Basis, sondern eher bildhafte Vorstellungen davon, was sinnhaft, gut und zukunftsfähig sein könnte. Das was wir auch Grundwerte nennen, liegt sehr nahe dabei.
Und genau auf dieser Ebene liegt auch all das, was wir als Gottesbeziehung, Glauben und Religion nennen. Diese ist keine „Welt“, die sich sachlogisch erschließen lässt. Sie ist dennoch nicht unlogisch, nicht Träumerei, nicht Hirngespinst, sondern wirkmächtiger Teil des real existierenden Seins. Und diese Dimension des Seins unterliegt nicht den Grenzen der Physik, der Logik und der Formulierbarkeit. Für uns Menschen ist das schwer zu ertragen und gleichzeitig auch befreiend.
„Und wenn Gott allmächtig ist – warum macht er dann nicht, dass …“ Bei Schicksals-Schlägen, Katastrophen, Gewalt-Tätigkeit und Kriegen drängt sich diese Frage auf – vor allem, wenn man Gott auch noch die Eigenschaften gut, gütig und gnädig zuordnet, die in der Bibel vielfach dokumentiert sind. Und selbst wenn man zur Kenntnis nimmt, dass in der Bibel auch von einem strengen und strafenden Gott die Rede ist, ist allein damit die „wenn-Gott-allmächtig-ist“ – Frage nicht zufriedenstellend beantwortet, denn er ist in der Bibel eben auch als gerecht beschrieben. Und die Gerechtigkeit ist dort auch als der Maßstab für Strafen und Vergeltung genannt, so dass dieses Argument immer dann nicht überzeugt, wenn Not und Elend Menschen trifft, die im Glauben stehen – also in besonderem Maße Zugang zur Gnade haben – und obendrein vielleicht auch noch einen „gottgefälligen“ Lebenswandel pflegen – also auch seine Güte „verdient“ haben.
Dies führt zu einem weiteren Aspekt: Gott hat in der Genesis dem Menschen Verantwortung übertragen: Er durfte die Tiere und Pflanzen benennen – was einer gewissen Inbesitznahme entspricht. Und wer Besitz hat, ist für diesen Besitz verantwortlich. Mit dem Auftrag „seid fruchtbar und mehret Euch“ und „macht euch die Erde untertan“ gibt Gott Verantwortung an die Menschen ab. Dies heißt zwingend auch, dass Gott damit freiwillig einen Teil seiner Macht an den Menschen abtritt, denn ohne eine Handlungsvollmacht kann kein Auftrag ausgeführt werden. Und der Auftraggeber geht immer auch das Risiko ein, dass der Auftragnehmer in einer Weise handelt, die nicht der Intension des Auftraggebers entspricht. Verantwortung beinhaltet immer auch ein gewisses Maß an Freiheit – und eben auch die Freiheit den Auftrag falsch zu erfüllen. Das unterscheidet den freien Bürger vom Sklaven, der ohne jede Entscheidungsfreiheit nur der „verlängerte Arm“ seines Herrn ist.
Dieser Aspekt ist geeignet einen Teil der „wenn-Gott-allmächtig-ist“ – Frage zu beantworten. Der Rest bleibt ein Geheimnis. Oder anders formuliert: Der Rest ist auch dem geschuldet, dass unsere Logik zu „klein“ ist, um das materielle Universum (die Schöpfung) vollständig zu begreifen (siehe oben). Wie sollten wir das vollständig verstehen können, das unser materielles Universum übersteigt. Hier beginnt Vertrauen, die Beziehung zu einem Du auf Augenhöhe, das uns Gott in der Bibel anbietet und das von Jesus mit sichtbarem Leben erfüllt wurde.
Christian Hennecke schreibt in seinem Buch „Glauben mit Vision“: „Dennoch glaube ich, dass die Zukunft des Glaubens nur mit einem neuen Verständnis des Gehorsams zu fassen ist. Gehorsam ist dann aber nicht ein hierarchisches Machtinstrument, sondern die Ermöglichung und Verwirklichung der göttlichen Freiheit: Es geht darum immer wieder genau hinzuhören auf die Liebe, die zu mir spricht, auf das Wort Gottes, das mich im inspirierenden Geist zu mehr Liebe führt – auf die Menschen und Situationen, in denen der Geist Gottes mich anspricht und uns anweht, damit wir gemeinsam angemessen handeln können. …“[4]
Und Jörg Zink formuliert in seinem Buch „Die Urkraft des Heiligen“ unter der Überschrift: „Unsere Vorstellungen von Gott werden immer zu klein sein“ folgende Gedanken: „ … Die Bilder von Gott, die uns überliefert sind, reichen nicht mehr zu, um uns zu zeigen, wer Gott sei. … Die kleine Welt früherer Zeiten war wie ein Haus vorgestellt, dessen Hausherr Gott genannt wurde. Unsere Welt ist inzwischen über alle Vorstellbarkeit ins Unendliche und kaum mehr Ahnbare hinaus explodiert, Gott aber ist uns immer noch der Hausvater unserer kleinen, vertrauten Welt.“[5]
Ist Gott allmächtig? – vermutlich ja – aber mit unserer Logik können wir Gott nicht begreifen und beherrschen. Wir können uns vertrauend darauf einlassen und Kraft daraus schöpfen und in der fühlenden Hinwendung zu Gott seine Größe erahnen.
[1] Harald Lesch und Thomas Schwarz, Unberechenbar, Verlag Herder GmbH, 2020
[2] Gleichung: Eine mathematische Darstellung der Logik unserer Gedanken
[3] Die Grenzen des Denkens: Wie wir sie mit System erkennen und überwinden können | Meadows, Donella H | ISBN: 9783865811998 2010
[4] Christian Hennecke, Glauben mit Vision, Güthersloher Verlagshaus © 2018
[5] Jörg Zink , Die Urkraft des Heiligen, Kreuz Verlag GmbH & Co © 2003